Probearbeiten in London

Für eine Weile im Ausland arbeiten. Das ist der Traum vieler Menschen. Als vor einigen Jahren meine Langzeitbeziehung zu Bruch ging, wollte ich das Beste aus der Situation machen und eine Weile ins Ausland ziehen. Ich wusste damals schon, dass ich im Herbst mit meiner Ausbildung zur Dipl. Tourismusfachfrau HF beginnen würde und wollte die Zeit bis dahin in London verbringen. Wollte, würde, sollte. Wie du vielleicht schon herausliest, gestaltete sich das schwieriger als geplant.

Zeitreise: Frühling 2017

Es ist Samstagmorgen und ich fahre in meinem Auto nach Basel, genauer gesagt an den Flughafen. London wartet ein weiteres Mal auf mich. Die letzten Tage habe ich Stelleninserate durchforstet und Online – Bewerbungsgespräche geführt. Ein Hotel in London hat mich zum Probearbeiten eingeladen und genau dorthin bin ich unterwegs. Ich bin immer sehr pünktlich am Flughafen, doch heute will gar nichts so wie ich. Ich stehe stundenlang im Stau und komme super knapp am Gate an, esse noch schnell ein Sandwich unterwegs und setzte mich völlig erschöpft auf meinen Platz im Flieger. Ich bin wie in einer Trance. Für manche ist das normal, geschäftlich mal ebenso für einen Tag nach London zu fliegen. Nicht für mich. Nach knappen zwei Stunden lande ich in London und mache mich mit der London Tube auf den Weg in die Innenstadt. Bei meinem eventuell zukünftigen Arbeitgeber angekommen, staune ich nicht schlecht. Ein ziemlich nobler Schuppen. Ich nehme, nachdem ich nach dem Weg ins Restaurant gefragt habe, den Lift in den obersten Stock. Dort empfängt mich der Restaurantchef, dem Akzent nach zu urteilen ein Franzose. Wir führen ein kurzes Gespräch und ich darf mich danach für den Abendservice umziehen gehen. Ich habe meine normale Service Uniform dabei, die ich auch zuhause im Hotel, in dem ich arbeite, immer anhabe. Eine schwarze Hose, schwarze geschlossene Schuhe und eine weisse Bluse. Meine Haare binde ich zu einem Pferdeschwanz zusammen und dann bin ich bereit.

Als ich nach vorne komme, mustern mich alle und fragen, ob ich keine anderen Kleider dabeihabe. Ganz erstaunt sage ich nein und fühle mich etwas verunsichert. Vor allem, weil ich im Voraus per Mail noch nachgefragt hatte, was ich mitbringen soll, und nie eine Antwort erhalten habe. Trotzdem freue ich mich noch auf den Abend. Es sei ganz schön viel los und das Restaurant für den Abend zwei Mal ausgebucht. Schon etwas demotivierter bin ich, als ich meine Aufgabe für den Abend erhalte. Ich darf Brot schneiden, sobald neue Gäste am Tisch sitzen und ich darf Tische abräumen, sobald Gäste den Tisch verlassen haben. Ok. Ich habe meine Ausbildung in der Gastronomie gemacht und arbeite zurzeit in einem schönen Vier-Stern-Hotel am Thunersee. Das habe ich dem Restaurantleiter auch so gesagt und doch darf ich nicht mehr machen und ja keinen Gästekontakt haben. Er wolle nicht, dass ich mich blamiere.

Ja gut. So geht das also den ganzen Abend und meine Laune geht von Minute zu Minute den Bach runter. Um 23:00 Uhr habe ich immer noch nichts gegessen und ich frage Mal nach, wann ich denn ca. Feierabend habe, da ich noch zu meinem Hotel kommen muss, damit ich morgen früh meinen Flieger nach Hause erwische. Der Restaurantleiter schickt mich mit den folgenden Worten nach Hause: “Wenn du dir andere Kleider kaufst, andere Schuhe anziehst und anfängst dich zu schminken, dann hast du den Job.”. Autsch! Perplexer denn je gehe ich zur Rezeption, frage nach dem Weg zum Flughafen und verlasse das Hotel auf Nimmerwiedersehen. Da es schon so spät ist, nehme ich die Tube direkt zum nächsten Bahnhof, an dem gemäss dem lieben Restaurantleiter noch ein Zug zum Flughafen fährt.

Dort angekommen sehe ich, dass die Anzeigetafel ziemlich leer aussieht. Ich frage bei einem Mitarbeiter nach und der meinte, dass der letzte Zug schon weg sei. Ok, jetzt nur nicht in Panik geraten. Auf die Frage, ob ich denn überhaupt noch zum Flughafen komme, zeigte er mir den Weg zum Busbahnhof. Dort sollte noch ein Bus fahren. Ich nehme also die Tube und fahre zum Busbahnhof. Um 01:30 Uhr komme ich dort und warte auf den Bus, der mich an mein Ziel, den Flughafen, bringen soll. Nach einer Stunde Warten verlässt mich der Mut. Ich stehe auf und wollte in einem nahegelegenen Shop nachfragen, ob sie mir weiterhelfen können. Als ich auf der anderen Strassenseite ankomme, fährt ein Bus an mir vorbei mit der Anschrift “Airport”. Ich renne ihm hinterher, schreie wie noch nie in meinem Leben und fange an zu weinen. Das gibt es doch gar nicht! Es ist mitten in der Nacht, ich bin allein in London und komme nicht an den Flughafen. Mein Flieger geht in vier Stunden und ich muss danach direkt zur Arbeit. Muttertag – einer der strengsten Tage im ganzen Jahr. Ich nehme meine letzte Kraft zusammen und rufe mir ein Taxi. Ich zahle umgerechnet 170 Schweizer Franken, komme um 3:30 Uhr am Flughafen an, schlafe zwei Stunden und fliege wieder nach Hause.

Was für ein Abenteuer. Schade, dass sich für mich der Traum zum Alptraum gewandelt hat. Ich war plötzlich so dankbar, dass ich in der schönen Schweiz leben darf. Für mich kommt seither das Arbeiten im Ausland nicht mehr in Frage. Das soll nicht heissen, dass es auch eine spannende und erfolgreiche Erfahrung sein kann. Nur für mich sollte es wohl nicht sein. Aber jetzt habe ich eine Geschichte mehr, die ich erzählen kann.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert